28 September 2006

Soziales Verhalten

Marie wird allmählich ein richtiges Kleinkind. Ich weiß gar nicht, wie ich es beschreiben soll, aber dieser Übergang zwischen Babyalter und Kindheit, von der Zentriertheit auf das Selbst oder dessenEntwicklung hin zur Außenwelt, kann man schon fast als "Aufblühen" bezeichnen. In Wirklichkeit fehlt mir aber gerade das richtige Wort dafür, es ist mehr ein Gefühl. Jedenfalls war Maries Verhalten heute - natürlich im Zusammenhang mit ihrer bisherigen Entwicklung zu sehen - eine Verkörperung dieses Gefühls: sie reagiert positiv auf andere Kinder und auch deren Mütter (flüchtete heute auch nicht mehr in meine Arme, was aber auch daran gelegen haben kann, dass wir die auf dem Spielplatz Anwesenden alle schon vom Sehen kannten) und geht aktiv in eine soziale Beziehung zu ihnen, die sich nicht im Anlächeln oder Anpatschen - wie sie es früher getan hat und wie Céline es momentan gerne tut - erschöpft. Vieles dreht sich im Spiel mit den anderen Kleinkindern ums Geben und Nehmen. Das Sandspielzeug ist ein Anlass ständiger Auseinandersetzung. Marie mochte es bis vor kurzem gar nicht, wenn jemand ein Teil vom ihrem Spielzeug an sich nahm. Das hat sich inzwischen geändert, sie toleriert die gemeinsame Benutzung, mal abgesehen von ihrer "Maus", die ihr absolutes Lieblingskuscheltier ist und zur Zeit überall hin mit muss. Als ein Mädchen sich für diese Maus interessierte, nahm Marie ihr diese schnell wieder ab und gab sie entweder mir oder sogar der Mutter des anderen Mädchens zum Aufpassen. Interessant ist, dass später ein anderes Mädchen, in Maries Alter aber sehr viel größer und kräftiger und ihr aus ihrer Krabbelgruppe bekannt, ebenfalls die Maus in die Hand nahm, Marie dann aber doch bei mir Hilfe suchte, nachdem sie einmal erfolglos versucht hatte, dem Mädchen die Maus abzunehmen. Auch auf dringliche Warnungen ihrer Mutter gab das Kind die Maus nicht raus. Marie guckte richtig empört und wendete sich an mich, da aber die Mutter des anderen Mädchens dieses bereits instruierte, was sie mit der Maus zu tun habe (nämlich an Marie aushändigen), habe ich Marie zu dem Mädchen geschickt, damit sie selbst lernt, Dinge im Kontakt einzufordern. Sie ging dann auch hin und streckte ihre Hand aus, und schließlich bekam sie ihre heißgeliebte Maus zurück (und brachte sie in Sicherheit).
Ähnlich läuft es mit Sandspielzeug ab, nur dass hier schonmal ein Handgemenge um die Teile entsteht, die am Ende keinen der beiden kleinen Kämpfer mehr interessieren. In solchen Situationen bin ich wiederum etwas unsicher. Einerseits sollen die Kleinen ja lernen, solche Konflikte selbst geregelt zu bekommen, andererseits finde ich schon, dass man ein Wegnehmen im Sinne von "aus-der-Hand-reißen" von Anfang an unterbinden muss. Wenn sich die Kinder also um ein Teil streiten, das zuvor auf dem Boden gelegen hat und das beide gleichzeitig greifen wollen, finde ich es in Ordnung, sie alleine machen zu lassen. Wenn das Teil aber bereits im Besitz eines Kindes ist, halte ich Marie davor zurück, es ihm aus der Hand zu reißen, auch, indem ich sie festhalte, denn zum Zuhören ist sie in dem Moment zu impulsiv ;) Aber jede Mutter sieht die Sache anders und findet es dann möglicherweise unmöglich, wenn man in bestimmten Situationen nicht eingreift. Fazit: man muss sich seiner Sache und den dahinterstehenden Einstellungen und Überzeugungen ganz schön sicher sein als erziehende Person!

Positive soziale Zuwendung zeigte Marie heute zum Beispiel, als wir an einem auf dem Sandkastenrand sitzenden Mutter-Kind-Pärchen vorbeigingen und Marie nach der auf dem Boden außerhalb der Kiste liegenden bunten Trinkflasche griff. Gut, dass ich nicht gleich losgetadelt habe nach dem Motto "Marie, das ist nicht deine Flasche, also die bitte liegen.", denn: Marie hob die Flasche einfach auf und gab sie der Mama! Für so eine aufmerksame Aktion musste ich sie dann natürlich loben :D

Außerdem lernt Marie offebar gerade von ihren Eltern aus, "bitte" zu sagen, wie sie mir in einem sehr drolligen Zusammenhang demonstrierte. Sie wollte klettern gehen und schaffte es nicht auf den einen Absatz, also rief sie wie immer ihren universalen Hilferuf "Mama!", obwohl sie ja, wie berichtet, meinen Namen sagen kann. Ich bin also mit folgenden Worten zu ihr gegangen, um sie daran zu erinnern, dass sie mich bei meinem Namen rufen kann: "Marie, wie musst du zu mir sagen?" und - man ahnt es schon - Maries Antwort: "BITTE!" :D

Eine letzte Anekdote zum Thema Sozialverhalten: Marie hat eine Laugenstange zum Essen bekommen, ich esse mein Brötchen. Eine Weile sitzt sie auf meinem Schoß und wir stillen unseren Hunger. Plötzlich dreht sie sich zu mir um und hält mir ihre Stange hin. Ich denke in dem Moment, dass sie entweder nicht mehr mag oder - in Anbetracht ihres neuen sozialen Verhaltens - mich mal abbeißen lassen möchte. Schnell klärt sich: Marie will tauschen, hält mir also die Stange hin und grapscht dafür schnell nach meinem Brötchen! Auch diese Episode zeigt, dass sie beginnt zu verstehen, dass man nicht einfach anderen etwas wegnehmen kann, sondern denen dafür auch etwas anbieten sollte, damit der Handel friedlich abläuft.