28 Juni 2006

Streng

Dass Clara und Chris strenger bzw. konsequenter als meine anderen Minis erzogen werden, hatte ich wohl schonmal erwähnt. Das ist auch für mich als Betreuerin nicht unbedingt negativ, denn in der Regel sind die beiden leicht zu lenken, weil sie an feste Regeln und nicht diskutierbare Ansagen gewöhnt sind. Aber heute habe ich schon ein krasses Beispiel miterlebt:
Als wir nach Hause kamen, war ihre Mutter schon da, wollte aber noch ein halbes Stündchen in Ruhe arbeiten, also habe ich die Kinder wie immer versorgt. Mit Clara habe ich dann aus Schuhkartons einen Schweinestall für ihre Origami-Schweinefamilie gebastelt und bemalt. Irgendwann gesellte sich Chris - der auch mal ganz gerne alleine spielt, nun aber gerade dabei war, einen Apfel zu essen - zu uns und schaute erst ganz ruhig zu. Dann hat er den Satll angefasst und hochgehoben, wobei die beiden Kartons, die gerade erst zusammengeklebt worden waren, auseinanderfielen. Eigentlich kein Drama, kann man ja wieder kleben, und Chris wollte meiner Meinung nach auch nichts kaputt machen, sondern nur mal genauer hinschauen. Clara sah das leider etwas anders - und explodierte komplett! So habe ich sie noch nie erlebt! Sie hat gleich losgeschrien in einem Tonfall, dem ihre innere Wut so deutlich anzuhören war - Wahnsinn! Dabei waren unnette Sachen wie "Du bist bescheuert! Verschwinde hier! Hau ab!". Ich dachte, ich hör' nicht recht! Der arme Chris war auch ganz geplättet und hat gar nichts mehr gesagt. Ich habe dann zwar Clara kurz getadelt und gemeint, dass sie doch nicht gleich so losbrüllen müsse, dass das von Chris keine Absicht war und dass wir es auch ganz leicht wieder reparieren können. Nach ihrem Ausbruch war sie dann auch direkt wieder "normal".
Ich kann zwar aus meiner Sicht nicht verstehen, wieso man sich bei so einer Kleinigkeit so aufregt, aber wenn sie sich so gefühlt hat wie sie klang (und das glaube ich), dann finde ich ihre Explosion immernoch sehr viel besser, als wenn sie Chris gehauen hätte - was sicher viele Kinder so machen würden. Ich sehe schon eine gewisse Leistung darin, die aufkochenden Emotionen so unter Kontrolle zu halten, dass man sie nicht mit körperlicher Gewalt ausagieren muss. Ihre Mutter sah das offenbar anders. Einige Minuten nach dem Vorfall war sie fertig mit ihrer Arbeit und sprach Clara auf ihr Verhalten an. Sie sagte, sie möchte so etwas nicht noch einmal von ihr hören. Clara antwortete nur kleinlaut "ja", worauf ihre Mutter meinte: "Don't say "yes", say you won't do it again!" [Sag nicht einfach nur "ja", sag, dass du es nicht wieder machen wirst! >> Clara und Chris sprechen zu Hause nur englisch). Clara: "I won't do it again..." Mutter: "Thank you." Clara (ganz geknickt): "You're welcome."
Abgesehen davon, dass ich die ganze Situation wie gesagt anders interpretiert habe als Claras Mutter, sehe ich irgendwie den pädagogischen Effekt in der Aktion nicht. Warum soll ein Kind etwas Vorgesprochens wiederholen? Was soll das ändern? Gut, es flößt Respekt vor den Erziehungspersonen ein, aber ich bin sicher, dass es keine Auswirkungen auf das wirkliche Verhalten in der nächsten ähnlichen Situation haben wird. Clara hat einige Minuten später auch tatsächlich schon wieder wütend zu lamentieren angefangen (zwar nicht so explosiv wie beim ersten Mal), als Chris das Futter für die Schweine aus dem Trog verstreut hat - und obwohl ihre Mutter sie da noch einmal erinnerte, was sie gerade versprochen hatte (vielleicht liegt da der Denkfehler! Clara hat ja nichts ehrlich von sich aus versprochen, sondern ein erzwungenes Versprechen nachgesagt), konnte Clara in dem Moment nicht damit aufhören. Irgendwo muss die Wut ja auch hin!