26 Mai 2006

Lernen am Modell

Unerwarteterweise hat das Wetter heute mitgespielt und ich konnte mit Marie zum Spielplatz gehen. Kurz vor dem Spielplatz fängt ein kleiner Park mit einer Wiese in der Mitte an, und wenn man Marie dann aus dem Kinderwagen nimmt und sie laufen lässt, findet sie alleine den Weg zum Spielplatztor und quietscht beim Rennen vor Freude. Offenbar genießt sie das Laufenkönnen total :)

Auf dem Spielplatz haben wir wieder die Großfamilie von neulich getroffen, die aber, obwohl sie uns wiedererkannt haben, heute die meiste Zeit eine andere Mama und ihren Sohn "beglückt" haben. *puuuh* Die Frau hat voll mitgespielt, mit den Mädchen rumgebalgt und ist später sogar mit ihnen zusammen weggegangen. Die war scheinbar bei weitem nicht so genervt von der aufdringlichen Gesellschaft wie ich neulich. Wahrscheinlich war sie froh, dass jemand ihren nörgelnden Jungen mal etwas abgelenkt hat. Der Kleine (ca. 2 J.) hat einen Riesenaufstand gemacht, als Marie in der Nähe der Babyschaukel stand, in der er saß, und seine Mutter darufhin meinte, er müsse jetzt mal das Mädchen schaukeln lassen. Als sie ihn dann selbst aus der Schaukel entfernen wollte, hat er ein Supergebrüll angestimmt und sich festgekrallt. Als Marie dann endlich in die Schaukel konnte (zwischendurch sind wir nochmal rutschen gewesen), kam er direkt wieder schreiend angerannt und wollte sich am liebsten in die schwingende Schaukel werfen. Mutter und Opa kamen angestürmt und wollten ihn wegzerren. Marie hat sich die ganze Show ganz schön verblüfft angeschaut - und als Handlungsschema gespeichert, denn als später der Junge wieder in der Schaukel saß und Marie das gesehen hat, fing sie direkt auch an zu meckern! Das hat sie vorher nie gemacht, immer nur zugeschaut und sich trotzdem gefreut. So schnell lernt sich also negatives Sozialverhalten!

Ziemlich lustig zu beobachten war Maries unwirsche Reaktion, als sie unversehens eine ihrer Sesamstangen zwischen den Planken der Bank, auf der sie saß, verloren hat. Ganz aufgeregt hat sie durch die Spalte geguckt, über die Rückenlehne und unter den Rand. Ich habe ihr natürlich gesagt, dass die Sesamstange jetzt weg ist und wir nicht mehr drankommen und dass sie eine neue haben kann, aber das war offenbar nicht ihre Sorge. Mir schien, sie konnte gar nicht fassen, dass die Stange einfach so verschwindet. Als ihr dasselbe Missgeschick später noch einmal passierte, hatte ich den Eindruck, dass ihr nicht bewusst war, dass sie selbst die Stange nicht fest genug gehalten hat, sondern vielleicht dachte, jemand (der böse schwarze Spalt zwischen den Planken??) hätte ihr die Stange weggenommen. Marie war richtig empört und versuchte mir wild gestikulierend und artikulierend immer wieder deutlich zu machen, was mit ihrer Stange geschehen war und war gar nicht mehr davon abzubringen. Die Welt muss manchmal wirklich ein Rätsel für ein Kleinkind sein!

Entwicklungsmäßig ist neu, dass Marie "Mama" sagen kann. Zwar hat sie dabei mich angesehen, aber es sah trotzdem nicht aus, als ob sie nicht wüsste, dass ich nicht "Mama" genannt werde. Eher schien es mir, sie wollte mir mal zeigen, was sie schon sagen kann, so schelmisch hat sie dabei gegrinst :) Wobei Leon in Maries Alter auf jeden Fall eine Phase hatte, in der er mich auch "Mama" genannt hat auf dem Spielplatz. Das nennt man Übergeneralisierung und ist im Spracherwerb ganz normal. Die Bedeutung von Wörtern wird über ihren eigentlich Sinn hinaus ausgedehnt. Umgekehrt gibt es das Phänomen aber auch, dann heißt es Überdiskriminierung und meint, dass das Kind ein Wort nur für ein ganz bestimmtes Objekt der jeweiligen Gattung als korrekt anerkennt - z.B. ist dann nur der eigene Hund zu Hause ein Hund, nicht aber der andere auf der Straße. Aber solche kleinen Irrtümer erledigen sich rasch fast wie von selbst :)
Um auf Marie zurückzukommen, ich nehme an, dass es jetzt bald vorangehen wird mit ihrer Sprachentwicklung. Sie versteht auch schon so vieles, dass ich manchmal richtig erstaunt bin, besonders wenn es sich um komplexere Sätze handelt. Als sie z.B. heute mit einem kleinen Plastikpferd gespielt hat, habe ich ihr erzählt, dass das ein Pferd sei, nämlich auch so eines, wie auf dem Spielplatz zum Reiten sei. Und prompt versucht sie sich auf das winzige Pferdchen zu setzen! Da hat sie wirklich gut zugehört, denn natürlich habe ich das nicht in einem Satz formuliert und auch mit anderen unwichtigen Sachen ausgeschmückt - aber Marie hat daraus für sich gezogen, dass 1. Pferde ganz verschieden aussehen können, 2. wenn das Teil zum Reiten auf dem Spielplatz ein Pferd ist und 3. dieses kleine Tierchen hier auch ein Pferd ist, dann kann man 4. auch auf diesem reiten! Sehr niedlich auch ihre überraschte Reaktion, als es einfach nicht möglich war, sich auf dem winzigen Ding niederzulassen ;)