27 April 2006

Action-Bücher

Kann sich eigentlich noch irgendjemand an die Bilderbücher aus unserer Kindheit erinnern? Also so vor 15-20 Jahren? Ich habe noch einige meiner damaligen Kinderbücher, allerdings nicht die ganz frühen ohne oder fast ohne Text. Trotzdem bin ich mir ziemlich sicher, dass gerade dieses "Anfänger-Literaturgenre" eine extreme Wandlung durchgemacht hat. Das klassische "Nur-Buch" gibt es doch schon fast gar nicht mehr, könnte man denken, wenn man mal durch die Bücherregale der Kleinsten stöbert. Heute reicht es offenbar nicht aus, einfach NUR BUCH mit Bildern und einigen Wörtern zu sein - nein, erst auf den zweiten Blick ist manches "Etwas" als Buch überhaupt erkennbar, wenn Puzzlefunktionen, Fühlapplikationen, Geräuschimitationen und Aktionsaufforderungen im Vordergrund stehen. Gerade heute bei Marie wieder bemerkt, weil sie so gerne Bücher anguckt und ich dadurch auch in den Genuss komme: in wirklich nahezu jedem Buch gibt es irgendetwas zu tun, einfach angucken und den Erzählungen des erwachsenen Lesepartners zuhören ist gar nicht möglich: "nimm hier das Puzzleteil raus und schau, was dahinter ist", "versuch rauszufinden, wo es wieder reinpasst", "fühl mal hier! ein flauschiges Küken", "Hör mal, wie die Kuh macht", "mach mal den Reissverschluss vom Teddy auf und zu", "räum die (Magnet-)Objekte von einer Seite auf die andere!", "eins, zwei, drei - zähl die Enten!" usw. - so scheinen die Buchseiten zu befehlen. Hm. Ich muss mir erstmal eine Meinung bilden. Wie finde ich das? Auf jeden Fall ungewohnt. Und hat es Vorteile? Vielleicht, wenn man bedenkt, dass den ganz kleinen Kindern das "Nur-Zuhören" ja noch schwer fällt und sie lieber selbst etwas hantieren möchten. Von daher sind Fühl- und Puzzle-Bücher möglicherweise als positive Weiterentwicklung des klassischen Bilderbuchs zu betrachten. Bücher hingegen, die Musik machen oder Zahlen, Farben und Wörter auf Knopfdruck äußern, sind überflüssig - oder sollten es jedenfalls sein: Vorlesen und gemeinsames Bücher angucken erfüllen zwar sicher auch didaktische Funktionen, leben aber von der emotionalen Komponente des Miteinander-Tuns von Kleinkind und Erwachsenem. Ein Kleinkind lernt neue Wörter genausowenig durch sprechende Bücher wie durch das Fernsehen. Wörter müssen emotionale Bedeutungen und kontextuale Relevanz erhalten, um in das Repertoire des Kleinkindes aufgenommen zu werden. Und genau das ist eben nicht zu erreichen durch Berieselung auf Knopfdruck, sondern nur in der persönlichen, bedeutungsvollen Interaktion mit zugewandten Erwachsenen. Es gibt sowieso schon viel zu viel "Krachmacherspielzeug", da darf doch wenigstens das gute alte Buch mal stumm bleiben!

So, nach diesem reflektiven Ausflug noch kurz zu den konkreten Geschehnissen dieses Nachmittags mit Marie: wieder waren wir spazieren und auf dem Spielplatz, wo heute aufgrund des Wetters fast niemand war. Alles war zwar noch feucht dort, aber es hat ja nicht mehr geregnet und war auch warm. Marie konnte also in aller Ruhe alle Gerätschaften ausprobieren und musste nur ab und zu innehalten, um ein doch kurz vorbeischauendes Kind nicht aus den Augen zu lassen :) Später zu Hause habe ich zum ersten Mal gesehen, wie Marie "So-tun-als-ob-Handlungen" ausführt: sie hat ihre Kuschelmaus in ihren Autositz gesetzt und mit ihren Keksen "gefüttert"! Marie ist erst 15 Monate alt, ist also früh dran mit dieser Art des Spiels, das ja eine Voraussetzung für den Spracherwerb ist (Sprache als Symbolsystem; sich Handlungen vorstellen können -> sich Wörter anstelle von Handlungen, Dingen und Gefühlen vorstellen können). Marie spricht allerdings bisher nur in sehr begrenztem Rahmen: "bwuffbwuff" für Hund, gestern hat sie "eiei" nachgesprochen, als ich das Schaukelpferd gestreichelt habe, und "Mama" und "Papa" sagt sie meines Wissens noch nicht. Aber sie lautiert und imitiert sonst eine Menge Geräusche und Gebrabbel, so dass sie ersten "richtigen" Wörter sicher nicht mehr lange auf sich warten lassen.